Lhotzkys Literaturbuffet:„Wir sind eine Buchhandlung, in der der Kaffee nie ausgeht.“
Draußen ist es zur Abwechslung regnerisch und dezembrisch-klamm, drinnen duftet es röstig nach Kaffee, nach mürben Keksen und ganz wunderbar nach frischen Büchern. Volle Regale reichen bis an die Decke, dazwischen sitzen an Kaffeehaustischchen entspannte Menschen, in Grüppchen oder scheinbar alleine (wann, bitte, ist man mit einem feinen Buch wirklich alleine?), alle vertieft, vor sich eine Tasse oder ein Tellerchen ...
An Drehständern und an der Kasse finden sich auch Spiele, Scherzartikel für Schlaue (Quetsch-Hirn!!!) und witzige kleine Mitbringsel mit sinnigen Sprüchen. Eine zart vorweihnachtliche Ich-lehne-Konsumwahn-ab-aber-vielleicht-finde-ich-hier-trotzdem-rein-zufällig-ein-Geschenk-Hoffnung macht sich in mir breit.
Denn in Lhotzkys Literaturbuffet, da … Moment, was ist eigentlich ein Literaturbuffet? Und was ist der Unterschied zu einem 08/15 Buchgeschäft?
„Wir wollten zwei alte Wiener Traditionen zusammenführen, die Buchhandlung und das Wiener Kaffeehaus. Mit Literatur, Lesungen, Kaffeejause und einer gemütlichen Atmosphäre, wo man sich entspannen und austauschen kann. So einen Ort haben wir uns immer gewünscht, aber in Wien vorher nicht gefunden.“
Also beschlossen Kurt und Andrea Lhotzky, so ein Projekt selbst in die Hand zu nehmen. Mit dem Ladenlokal in der Rotensterngasse war es Liebe auf den ersten Blick. Die Lhotzkys haben sich die Gegend vor der Gründung trotzdem bei Tag und bei Nacht gut besehen. Und da hat alles gepasst, eine lebendige Wohngegend, kulturell sehr durchmischt, mit Schulen, sicher und lebendig zugleich.
Das Literaturbuffet mit seinem kommunikativen Konzept kam sehr bald gut an. Unterschiedlichste Kunden kommen miteinander ins Gespräch, „Face-to-face Kommunikation, ganz altmodisch, das brauchen die Menschen, das tut ihnen gut“, ist Kurt Lhotzky überzeugt. „Bei der Beratung braucht man viel Fingerspitzengefühl, einerseits empfehle ich Bücher, die mir am Herzen liegen, andererseits müssen wir auch andere Meinungen und Geschmäcker anerkennen. Nur rechte Bücher gibt es bei uns nicht, da zeigen wir Flagge!“
Dieser wichtige Unterschied zum gängigen Online-Handel, die persönliche Beratung, das Zwischenmenschliche, das ist auch der Grund, der viele Kunden zu Stammkunden macht.
Besonderes Augenmerk wird bei Lhotzky auf Kinderbücher gelegt, ausgefallene, herausstechende Kinderbücher. Und dazwischen gemütlicher Platz für die Eltern, um sich auszutauschen.
Eine Frage brennt mir inmitten dieser unendlichen Buchauswahl auf der Seele: „Was macht das Lesen mit uns? Und: Welche Bücher muss man gelesen haben, Herr Lhotzky?“
„Kein Mensch muss irgendein Buch gelesen haben, es gibt hervorragende Leute, die nie ein Buch in der Hand hatten! Lesen kann Gedankenwelten öffnen, nachhaltig Spaß machen, aber es ist nur eine Form, sich die Welt anzueignen. Ich würde mich nie über jemanden ein Urteil erlauben machen, der nicht liest, oder bewusst nur Unterhaltsames.“
Als Buchhändler tragen Andrea und Kurt Lhotzky Verantwortung: Um die Tradition des Viertels – es gab bis zum Zweiten Weltkrieg vier jüdische Buchhandlungen in der nächsten Umgebung - zu ehren, haben sich die Lhotzkys sehr dafür eingesetzt, einen Platz am Augarten nach der im Vernichtungslager Maly Trostinec ermordeten Autorin und Kabarettistin Lily Grün benennen zu lassen und haben auch die Patenschaft für einen Stein der Erinnerung an der Heinestraße übernommen.
„Alles ist Jazz“, einen Roman von Lily Grün, legt mir Herr Lhotzky für meine Teenagertochter ans Herz: „Ein spannendes, historisch informatives Mutmacherbuch!“ Ich werde es gerne mitnehmen.
Er selbst liest ununterbrochen, auch vieles, wovon er vorher schon weiß, dass es ihm nicht gefallen wird, um mitreden zu können, Position beziehen zu können. Am liebsten hat er Krimis, diese „letzte Zuflucht der realistischen Literatur, wo man mehr ungeschönt über Lebensumstände und Auswirkungen darauf erfährt, als sonst wo. Ich hoffe, in 20 000 Jahren finden Archäologen eine Kiste mit guten Krimis, dann wissen sie über uns Bescheid.“
Lhotzky Kunden, vor allem die ganz jungen, schätzen auch, dass man nicht mit schiefen Blicken rechnen muss, wenn man einmal nichts kauft.
„Die liebsten Kunden sind uns nicht die, die immens einkaufen, sondern die, die das Lesen wirklich lieben. Im Kaffeehausbereich haben wir bewusst ganz niedrige Preise, und Buch-Aktionen mit tollen Büchern, wir wollten keinen sozialen Numerus Clausus. Hier hat alles seinen Wert, der Preis ist nicht so wichtig. So haben viele einen Zugang zu Büchern, bevor sie sie sich leisten können.“
Ich habe meinen Kräutertee ausgetrunken und verlasse diesen gastfreundlichen Ort mit dem Roman von Lily Grün und weiterer erfreulicher Beute.
Kurt Lhotzkys persönliche Buchempfehlung der Woche: Telefónica von Ilsa Barea-Kulcsar. Es beschreibt autobiografisch drei Tage im Madrid des Jahres 1936, wo sich in der Zensurstelle der Telefonzentrale der Kampf gegen den Putsch der Franco-Faschisten zuspitzt. „Warum? Da kommen keine billigen Helden vor, sondern echte Menschen, die das Richtige tun, und es wird aus Betroffenensicht geschildert, wie bei Hemingway!“
Aktuelle Veranstaltung:
Donnerstag, 5. Dezember, 19.00: „Briefe aus Grado 1900-1912“ – Grado mit anderen Augen sehen. Reise in die Welt der Emma Auchentaller mit Christine Casapicola.
Kontakt & Infos:
4 Mo vor Weihnachten: 14-19h
(Mo sonst: geschlossen) Di – Fr: 13-18h
Sa: 9-13h
Taborstraße 28|Eingang Rotensterngasse
Tel.: +43 1 276 47 36, +43 6991 585 16 68